MyCSSMenu Save Document

Sin City
Die Bücher von Frank Miller sind Kult und haben Maßstäbe in der Comic-Szene gesetzt: Harte Kerle, sexy Frauen, dunkle Bars u. schnelle Autos. Das Leben in «Sin City» ist tödlich, aber für eine Zigarette ist immer Zeit.

Das Wichtigste: Be cool
„Wenn Du in Sin City die richtige Straße runtergehst, dann kann Dir alles passieren.” So heißt es einmal im Film. Für die Bücher von Frank Miller gilt ein ähnlicher Satz: Wenn Du auf die richtige Seite blätterst, kann Dir alles passieren.

Es gibt nur einen Weg, «Sin City» zu verfilmen - man muss sich genau an die Comic-Bücher halten. Deshalb wollte Rodriguez den Zeichner auch als Co-Regisseur verpflichten. Weil das nicht erlaubt war, sind beide aus der Regisseur-Gewerkschaft ausgetreten. Wer in Sin City lebt, lässt sich eben nicht aufhalten von Bürokratie und Regeln. „Eine ganz schnelle Entscheidung”, sagt Rodriguez darüber. „Wir waren im fahrenden Zug, der Zug hatte eine ganz schöne Geschwindigkeit erreicht, wir waren ganz aufgeregt, diesen Film zu machen, alle hatten ein tolles Gefühl - und dann stehen plötzlich diese Burschen aus L. A. auf den Gleisen vor dem Zug, winken mit den Händen, rufen Stopp. Naja, da haben wir eben beschleunigt, und dann war dieses scheußliche Knirschen, aber wir haben uns nicht darum gekümmert...”

Der Stadt sind Schicksale egal
Dieses Knirschen gibt es in der Stadt immer wieder. Sie ist für die Gebrochenen, die Verrückten, die Gefallenen: Sin City. Es gibt kein Gesetz, nur einen Waffenstillstand zwischen korrupten Cops und toughen Huren, die sich das Stadtgebiet von Oak Town teilen und mit Waffengewalt verteidigen. Dazwischen leben die Geknechteten des Systems: Ehrliche Polizisten, gescheiterte Fotografen, einsame Herzen. Schicksale, die in einer Stadt wie dieser völlig bedeutungslos sind.

Robert Rodriguez und Frank Miller haben die ersten drei Bücher verfilmt: „Stadt ohne Gnade”, „Dieser feige Bastard” und „Das große Sterben”. Das Gelingen des Films hängt vor allem damit zusammen, dass sich Rodriguez sehr eng an die Comic-Vorlage hält, statt eine eigene Geschichte erzählen zu wollen. Er erzählt drei Geschichten typischer Film Noir-Figuren in einer Stadt, die nur für dieses Genre erdacht wurde. Immer geht es um Tod, Missbrauch, Grausamkeit, Coolness. Und jeder in dieser Stadt scheint immer eine Zigarette im Mund zu haben.

„Stadt ohne Gnade” handelt von Marv, einem einsamen Straßenschläger. Er ist groß und kräftig, sein Gesicht ist entstellt und er regelt das Leben in der Stadt auf seine Weise – meist hat es mit Chaos und Körperverletzung zu tun. Auf einem antiken Schlachtfeld wäre er ein Held, in diesem Jahrhundert ist er ein Außenseiter. Er fackelt nicht lange, er kann sich auch nichts anderes erlauben. Vor allem dann, als er neben einer toten Frau aufwacht. Er hat sie aus einer Bar mit zu sich nach Hause genommen und mit ihr geschlafen. Sie ist die einzige Frau, die sich je für ihn interessierte. Er macht sich auf die Suche nach dem Täter, und er wird nicht aufhören, ehe er den Tod gesühnt hat.

„Das große Sterben” erzählt von dem gescheiterten Fotografen Dwight, der in den aufkeimenden Krieg zwischen Polizei und Prostitution gerät. Beide Seiten haben einen wackligen Waffenstillstand geschlossen: Die Huren verwalten den Stadtteil Old Town selbst, die Polizisten werden im Gegenzug nicht angegriffen und gelegentlich mit Liebesdiensten versorgt. Dieser Friede endet, als die Mädchen einen Polizisten töten, den Dwight angelockt hat. In Sin City, dieser düsteren Stadt, könnte es noch finsterer werden.

Andere Probleme hat der Polizist Hartigan in „Dieser feige Bastard”. Er rettet das kleine Mädchen Nancy aus den Fängen eines pädophilen Verteidigers. Dabei wird er von seinem eigenen Kollegen niedergeschossen. „Ein alter Mann stirbt, ein junges Mädchen lebt”, sagt er. „Ein fairer Tausch.” Hartigan jedoch überlebt die Schießerei und findet sich im Gefängnis wieder. Die Vergewaltigungen werden ihm angehängt, weil der wahre Täter der Sohn des mächtigsten Mannes der Stadt ist. Der will sich rächen an ihm und dem kleinen Mädchen. Auch nach Jahren im Gefängnis hat der ehrliche Bulle Hartigan nur ein Ziel: Die kleine Nancy muss beschützt werden.

In den Comics sind die drei Geschichten voneinander getrennt, im Film werden sie ineinander verwoben. Die Figuren versammeln sich in der gleichen Bar, die treffen die gleichen Leute, sie haben gemeinsame Feinde. Auf diese Weise entsteht ein Mikrokosmos, wird "Sin City" für den Zuschauer zu einer lebendigen Stadt. Unwirklich zwar, aber beängstigend realistisch.

Doch sind es nicht nur die Geschichten, die die Bücher Frank Millers einzigartig werden lassen, sondern die Ästhetik. Miller erfand eine eigene Bildsprache für «Sin City». Einmal küssen sich zwei Menschen auf einer Terasse, im nächsten Frame werden aus den Personen weiße Comic-Umrisse. Dann zieht der Mann eine Pistole und erschießt die Frau. Aus ihrem Körper fließt gelbes Blut, ihr Kleid ist feuerrot. Ansonsten sind alle Zeichnungen in schwarz-weiß gehalten. Frank Millers Comics haben eine eigene Farbmetaphorik, die auf die Leinwand übertragen werden musste.

Die Bilder von Frank Miller haben tatsächlich Laufen gelernt, die Figuren zum Leben erweckt. Rodriguez versuchte nicht, einen Comic zu verfilmen. Er wollte, dass die Zuschauer auf der Leinwand einen Comic zu sehen bekommen – mit realen Schauspielern. Seit "The Matrix" hat man keine derart innovative Ästhetik mehr gesehen.

Deshalb sind es in den Comics nicht nur die Hauptpersonen, die Aufsehen erregen. Die Lieblingsfiguren von Frank Miller sind die, die nur in wenigen Momenten auftauchen und dennoch eine bedeutende Rolle für die Geschichte spielen. Miho zum Beispiel, gefährliche Kriegerin der Huren. Oder die Kellnerin Shellie, die in allen Episoden eine Rolle spielt. Diesen Personen legt Frank Miller seine typischen Dialogsätze in den Mund. So sagt Shelly zu einem aufdringlichen Gast: „Ich habe nicht so getan, als könnte man mich nicht haben. Ich BIN nicht zu haben.”

Immer Zeit für eine Kippe
Brittany Murphy alias GoldieCoolness - das ist das Zauberwort für Frank Miller. „Ich träume seit meiner Kindheit von harten Jungs mit Kippe im Mund”, sagte er einmal. Dazu erotische, aber tödliche Frauen, düstere Bars, schnelle Autos - so sieht es aus in der Welt von Frank Miller, das ist «Sin City»: Brutal, hart, aber immer cool. Für eine Zigarette ist immer Zeit.

Auf diese Weise schuf Miller eine neue Art des Comic. Rodriguez nahm sich die Vorschläge Millers zu Herzen und kreierte eine neue Version des Film Noir: den Comic Noir. Cabrios aus den 50er Jahren jagen durch die Straßen, verfolgt von Polizeiautos aus den 20ern. Die Frauen tragen die freizügige Kleidung, als wären die 70er nie zu Ende gegangen, die Dialoge entspringen den coolen Pulp Fiction-Romanen, die in den 90ern eine Renaissance erlebten. Deshalb ist "Sin City" auch nicht einer Epoche zuzuordnen, was aber auch nicht nötig ist. Eine Stadt, wie Frank Miller sie erschaffen hat, ist zeitlos düster mit einem ewigen Schein an Hoffnung. Man überlebt nur, wenn man selbst zum Bösen wird. Aber man überlebt.

Quelle: SPIEGEL

Sin City. USA 2005. Drehbuch: Frank Miller, Robert Rodriguez. Regie: Robert Rodriguez, Frank Miller, Quentin Tarantino. Darsteller: Jessica Alba, Benicio Del Toro, Brittany Murphy, Cliff Owen, Mickey Rourke, Bruce Willis, Elijah Wood. Produktion: Elizabeth Avellan, Frank Miller, Robert Rodriguez. Studio: Dimension. 124 Min.